Zusammenfassung
Ethernet als physikalisches Medium zum Transport von Echtzeit-Feldbusprotokollen findet einen wachsenden Markt im industriellen Umfeld. Leider wächst das Wissen um diese Technologie auch bei EtherCAT-Anwendern nicht in gleichem Maße wie die Begeisterung dafür. Damit Netzwerkgrundlagen aus dem Office-Bereich nicht unreflektiert auf industrielle Belange angewendet werden, gilt es Planer und Anwender für die technologischen Aspekte zu sensibilisieren.
EtherCAT als Echtzeit-Protokoll setzt auf Ethernet als physikalischem Träger auf und ist damit auf einen langfristig stabilen Betrieb der Ethernet-Verbindung angewiesen.
Wie bei anderen schnellen Übertragungssystemen können bei unsachgemäßer Anwendung auch bei der Hochfrequenztechnologie Ethernet störende Effekte im Betrieb oder bei der Inbetriebnahme auftreten. Diese Störungen sind bei Berücksichtigung weniger Grundsätze einfach zu lokalisieren bzw. ganz zu vermeiden.
Mit dieser Dokumentation soll dem Anwender ein Leitfaden ohne verpflichtenden Charakter oder rechtlich bindende Wirkung an die Hand gegeben werden, um eine reproduzierbar zuverlässige Ethernet-Verkabelung im industriellen Umfeld planen, erstellen und überprüfen zu können.
Dieses Dokument erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ersetzt insbesondere nicht normative Installationsrichtlinien wie IEC 61784, grundlegende Kommunikationsrichtlinien wie IEC 11801/EN50173 oder spezifische Installationsrichtlinien. Dieses Dokument richtet sich vorwiegend an den europäischen Markt. Deshalb wird hauptsächlich auf europäische EN-Normen Bezug genommen. Weltweite Bedeutung haben die ISO bzw. IEC-Normen (International Electrotechnical Commission, www.iec.ch), die sich inhaltlich oft mit entsprechenden EN-Normen decken.
Darüber hinaus liefert die ETG-Richtlinie ETG.1600 umfangreiche und konkrete Handreichungen zur Verkabelung von EtherCAT-Systemen.
Aufbauend auf den folgenden Kapiteln können die wesentlichen Hinweise wie folgt zusammengefasst werden:
- Eine Ethernet-Übertragungsstrecke (engl.: channel) zeichnet sich durch eine (technisch bedingte) Leistungsfähigkeit aus, die einen definierten Datendurchsatz [MBit/s] unter allen definierten Betriebsbedingungen und damit eine hohe Dienstequalität zuverlässig sicherstellt.
- Diese Leistungsklassen sind für den europäischen Raum normativ definiert in EN50173-1, z.B. "Klasse D". Entspricht eine Übertragungsstrecke nachweislich einer Leistungsklasse, ist sie konform zur EN50173. Ein Komponentenhersteller (Kabel, Steckverbinder) kann seine Produkte nach den Grenzwerten aus EN50173 et al. zertifizieren. Für die Einhaltung der Konformität einer Übertragungsstrecke kann die Verwendung ausschließlich nach EN50173 zertifizierter Komponenten ausreichend sein, im Einzelfall ist sie durch geeignete Messverfahren nach EN50346 nachzuweisen.
- Eine Übertragungsstrecke zur Übertragung von Ethernet-Telegrammen kann nach den Anforderungen dieser anwendungsneutralen Normen ausgeführt werden, muss es aber nicht und stellt dann eine anwendungsspezifische Verkabelung dar. Erfahrungsgemäß funktionieren (manchmal) auch Verkabelungen, die weit außerhalb der normativen Spezifikation liegen.
- Es wird empfohlen, dass zwischen Lieferanten und Anwendern Vereinbarungen über Beschaffenheit und Abnahmeverfahren in Bezug auf die eingesetzte Ethernet-Verkabelung getroffen werden.
- Eine grenzwertige Ethernet-Verkabelung kann unter Abnahmebedingungen zuverlässig funktionieren, unter Betriebsbedingungen (Alterung, EMV, Temperatur, Bewegung/Stoß, ..) dann aber ausfallen.
- Es ist zu unterscheiden zwischen zertifizierten Ethernet-Komponenten nach
- europäischer Normenreihe: EN50173 (ähnlich der IEC11801)
- US-amerikanischer Normenreihe EIA/TIA 568
Beide Standards unterscheiden sich leicht und verwenden auch noch gleiche Begriffe wie „Cat 5“ oder Class D“. Aber: nach TIA568-zertifizierte Komponenten dürfen in einer nach EN50173-erstellten Verkabelung nicht verwendet werden. In den meisten Fällen kommt es zu keinerlei Komplikationen, die Verkabelung bzw. die gesamte Installationsstrecke ist aber nicht mehr normgerecht nach EN [EN50173-3, Kap. 1]. - Als weltweit genutztes Kommunikationsprotokoll sind für EtherCAT die ISO/IEC 61918 und das EtherCAT Installation Profile ISO/IEC 61784-5 maßgebend. Diese enthalten selbst Festlegungen bzw. setzen auf anderen ISO-Normen auf.
Im europäischen Raum können die EN-Normen Anwendung finden, auf die in diesem Dokument hauptsächlich Bezug genommen wird. Die europäischen Mitgliedstatten führen diese EN-Normen als landesspezifische Normen. So werden in Deutschland die EN-Normen "DIN EN" genannt. Da die in ISO/IEC-Normen genannten technischen Vorgaben meist auf allgemeinem Konsens der technischen Fachwelt beruhen, finden sich die meisten ISO/IEC-Vorgaben in ähnlicher Weise in den EN-Standards wieder. Eine vergleichende Gegenüberstellung ist nicht Teil dieser Dokumentation. - Speziell für industrielle Belange wurden erweiternde Normenreihen (ISO24702, EN51918 et al.) geschaffen, die sich z.B. mit Umgebungsbedingungen oder mit protokollspezifischen Vorschriften befassen. Sie beeinflussen die elektrotechnischen Grundlagen nach EN50173 allerdings nicht.
- Die Leistungsfähigkeit (= zuverlässige Übertragung von 10/100/1000 Mbit/s) einer Ethernet-Verkabelung ist generell abhängig von
- der Kabelqualität (Dämpfung, Querschnitt, Kabelaufbau, Schirmung) der einzelnen Teilstrecken
- der Steckerqualität (Passung, Schirmung, Kabeltauglichkeit)
- der Anzahl Zwischenverbindungen
- der Umgebungstemperatur (20..60°C, spezifiziert mit Derating nach EN50173)
- Umgebungseinflüssen (z.B. MICE-Klassifizierung nach EN50173-1, Kap. 5: Mechanical/Ingress/Climatic/Electromagnetic rating) - Im EtherCAT-Anwendungsbereich wird nur die Verbindungsperformance von 100Mbit-FastEthernet nach EN50173 Class D [bis100 MHz] gefordert und im Folgenden behandelt. Die Forderung nach der höheren Leistungsfähigkeit darüber hinaus gehender Verbindungsklassen (Klassen E [bis 250 MHz], EA, F [bis 600MHz], FA) durch den Anwender ist zulässig, technisch jedoch nicht begründet.
- Zur Erreichung dieser Leistungsklasse sind nur Ethernet-Komponenten ab EN50173 Cat. 5 (Minimum) zulässig, siehe u.a. EN50173-3, Kap. 1.2.
Komponenten nach EN50173 Cat. 5 sind ausreichend, bei Verwendung von Wanddurchführungen/Doppelkupplungen müssen diese EN50173 Cat. 6 entsprechen, um die Class D-Leistungsfähigkeit zu erreichen. - In diesem Dokument wird z.Z. nur kupferbasierte Ethernet-Verkabelung 100Base-TX, nicht Lichtwellenleiter (LWL) nach 100Base-FX behandelt.
- Im Industrial-Fast-Ethernet-Bereich wird bevorzugt mit 4 adrigen/2 pair Kabeln gearbeitet, im Gegensatz zu den üblichen in der Gebäudeautomatisierung verwendeten vollbelegten 8 adrigen/4 pair-Kabeln. Dies ist beim Abnahmetest zu beachten, s.d.
- Als Belegung eines 4 adrigen/2 pair-Industrial-Ethernet-Kabels wird die 1,2,3,6+Schirm-Ausführung in Anlehnung an TIA-568A empfohlen.
- Für die Kabelquerschnitte wird empfohlen:
- Drahtaufbau: Litze (eng.: stranded) oder Starrader
- Querschnitt: AWG26/7 bis AWG22/1 entsprechend 7 Adern 0,14 mm² (Litze) bis 0,34 mm² starr. - Nach EN50173-1 ist für eine Ethernet-Strecke eine Maximalkonfiguration von 90 m festverlegtem Kabel + 2x 5 m Geräteanschlusskabel zulässig mit max. 4 dazwischen liegenden Steckverbindern, insgesamt also 100 m Channellänge. Andere Konfigurationen wie z.B. 100 m direkte Verbindung sind nach EN50173-3, Anhang B auszulegen und im Feld auf Konformität zur Leistungsklasse zu prüfen.
- Vorsicht bei Verwendung ausdrücklicher Patchkabel/Cords/Schnüre: handelsübliche Patchkabel bis ca. 10 m sind nach EN50173-1, Kap. 9 deutlich großzügigeren Grenzwerten unterworfen als Kabel, die nach EN50288 zur festen Verlegung bestimmt sind. Eine Aneinanderreihung bzw. überlange Konfiguration ist zu vermeiden und ggf. mindestens durch Verifizierung zu überprüfen - ein einfacher Durchgangstest reicht nicht aus! Auch aus entsprechender Meterware gefertigte applikationsspezifische Patchkabel sind auf ihre Eignung zu prüfen.
- Die Anzahl der Steckverbindungen zwischen den Endpunkten ist auf das nötige Minimum zu reduzieren.
- Der Einsatz ausschließlich geschirmter Ethernetkabel nach EN50288-2 wird empfohlen (STP, SF/UTP). Der Kabelschirm verhindert zusammen mit der besonderen TwistedPair-Ausführung maßgeblich die Einstreuung von Störungen in das Kommunikationskabel und gewährleistet damit den sicheren Betrieb der Kommunikationsstrecke. Die Endgeräte müssen die Schirmanbindung unterstützten.
Besonders bei der Verwendung feldkonfektionierbarer Stecker ist auf eine technisch einwandfreie und dem Stand der Technik entsprechende Schirmanbindung zwischen Stecker und Kabelgut zu achten (siehe auch EN50174-2 und allgemeine VDE Schirmvorschriften). Die qualitative Prüfung der Schirmwirkung ist derzeit (Stand 2011) nur im Labor möglich. Deshalb ist auf eine handwerklich einwandfreie Ausführung zu achten.
- der Schirmkontakt muss in allen Übergängen über 360° erfolgen. PigTails (Zusammendrehen des Schirmgeflechts vor der Kontaktierung) sind nicht erlaubt.
- der Schirmkontakt muss auch langfristig (mechanische oder chemische Einflüsse) sichergestellt sein
- Unterbrechung und kleine Löcher im Schirm müssen vermieden werden
- der Kabelschirm darf nicht als Zugentlastung verwendet werden
- das Schirmmaterial muss den elektrischen und mechanischen Anforderungen genügen. Für Schleppketten- oder Girlandenverwendnung sind besondere Kabel einzusetzen
Anweisungen von Kabel- und Steckerhersteller sind zu beachten. - Der Einsatz starrer Ethernetkabel anstatt Litze wird, wo möglich, aufgrund der besseren elektrischen Eigenschaften empfohlen (DämpfungLitze > Dämpfungstarr).
- Der Einsatz größerer Aderquerschnitte (z.B. AWG22 statt AWG26) wird, wo möglich, aufgrund der besseren elektrischen Eigenschaften empfohlen (Dämpfungdünne Ader > Dämpfungdicke Ader). Bei Längen > 50 m kann ein zu geringer Querschnitt (AWG26) die Einhaltung der Leistungsklasse verhindern!
- Die Überprüfung einer installierten Ethernet-Verkabelung vor Inbetriebnahme wird empfohlen.
- Die Überwachung einer installierten Ethernet-Verkabelung während des Betriebs mit Software-Diagnosemitteln z.B. von Beckhoff TwinCAT wird empfohlen.
Nach den angegebenen Normen lässt sich damit der Nachweisentscheid über eine Leitungsstrecke wie folgt treffen: